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Melli Beese: Vorbild für Frauen in Technologieberufen
Die Augsburger IGEL Niederlassung ist im Februar 2023 von der Hermanstraße in die Melli-Beese-Straße umgezogen. Da dieser Straßenname in Deutschland eher ungewöhnlich ist, hat uns interessiert, warum einer Frau mit diesem Namen eine Straße gewidmet wurde. Melli Beese war eine unbeirrbare deutsche Flugpionierin, die im Jahr 1886 in Dresden geboren wurde. Der Umzug von IGEL in „ihre Straße“ und der in den USA als „Women in History“-Monat gefeierte März sind Anlässe genug, sich mit Melli Beese und ihrem ungewöhnlichen Lebenslauf näher zu beschäftigen.
Vorbild für Frauen in der Technologiebranche
Ihre Beharrlichkeit und Widerstandskraft, mit denen sie es geschafft hat, als erste deutsche Frau einen Pilotenschein zu machen, lässt sie zum Vorbild für alle werden, die sich für mehr Frauen in der Technologiewelt einsetzen.
„Ja zu fliegenden Frauen“, das sagte sich Amelie Hedwig Boutard-Beese, besser bekannt als Melli Beese, als sie von 1906 bis 1909 in Stockholm an der Königlichen Akademie der freien Künste Bildhauerei studierte und von den Flugerlebnissen der Gebrüder Wright in der Zeitung las. „Fliegen. Ich wollte fliegen lernen. Das war aber auch alles, von dem ich wusste, dass ich es wollte“, hält Melli Beese in ihrer Autobiografie fest (nach Tatjana Dietl „Sie wollte fliegen, immer nur fliegen“).
Frausein im Kaiserreich
Für eine Frau jedoch war das in der damaligen Zeit undenkbar. Für sie war die Rolle als Hausfrau und Mutter vorgesehen. Sie sollte ihren Mann bewundern und ihn durch ihre hübsche Erscheinung schmücken. Es wurde verhindert, dass Frauen mit Männern konkurrieren. Eine akademische Ausbildung war nicht erwünscht und schon gar nicht im technischen Umfeld. An Frauen im Flugzeug war gar nicht zu denken, das konnte nur Unglück bringen.
Melli als erste deutsche Pilotin
Wie also hat Melli Beese es in diesem Umfeld geschafft, als erste deutsche Frau am 13.09.1911 einen Pilotenschein zu machen? Was machte sie so stark, dass es ihr gelang, den strengen gesellschaftlichen Konventionen zu trotzen? Selbst mehr als 100 Jahr später sind Pilotinnen eine Seltenheit: In der zivilen Luftfahrt zählt man sechs Prozent Kapitäninnen und Copilotinnen weltweit, in Deutschland mit 6,9 Prozent auch nur wenig mehr (siehe Gisela Zimmer „Wer will kann, Teilzeit fliegen“). Was können Frauen in technologischen Berufen bis heute von Melli Beese lernen? Um das zu verstehen, beginne ich mit einem kurzen Abriss ihres Werdegangs.
Mellis Weg zur Pilotin
Nachdem sie als Bildhauerin von Stockholm nach Dresden zurückkam, besuchte sie Vorlesungen in Mathematik, Schiffsbau und Flugtechnik am Polytechnikum in Dresden. Gleichzeitig suchte sie einen Fluglehrer, bei dem sie die Praxis des Fliegens erlernen konnte. Doch sie wurde an drei Schulen abgelehnt mit Sprüchen wie „Weiber taugen nicht für die Fliegerei“. Endlich fand sie in der Schweiz mit Robert Thelen einen Fluglehrer, der sich nach einigem Zögern bereit erklärte, ihr Flugstunden zu geben.
Über Hürden zu Rekorden
Melli Beese ging hier durch eine harte Schule. Nicht nur, weil sie gleich bei einem der ersten Flüge abstürzte und sich dabei verletzte, sondern vor allem, weil sie es mit ständigen Sabotagen durch ihre männlichen Kollegen zu tun hatte. Sie manipulierten ihre Flugapparate, indem sie beispielsweise verrostete Zündkerzen einbauten, den Tank entleerten oder die Flügel lockerten. Zudem wurden die männlichen Kollegen bei Flugstunden vorgezogen. Oft verging ein ganzer Tag am Flugplatz, ohne dass Melli überhaupt fliegen konnte. Dazu kamen verbale Angriffe, die eine psychische Belastung waren. Dennoch schaffte sie es durch einen Trick, an ihrem 25. Geburtstag in den frühen Morgenstunden unter Zeugen die Prüfung für den Flugschein abzulegen. Die Berliner Presse schrieb „Die junge Kandidatin im kleidsamen Fliegerdress bestieg die Schulmaschine und flog schneidig los … Sie flog die vorgeschriebenen Prüfungsflüge in sehr guter Manier“ (Martin Herzog „Melli Beese besteht die Flugprüfung“). Sie war die 115. Person in Deutschland, die einen Flugschein machte, und die erste Frau. Wenig später nahm sie an einem Flugwettbewerb teil und stellte einen neuen Höhen- und Dauerflugweltrekord für weibliche Pilotinnen mit Passagier auf. Dafür flog sie 825 Meter hoch und blieb zweieinhalb Stunden in der Luft.
Melli als Unternehmerin
Am Flugplatz in Berlin Johannisthal lernte Melli Beese ihren späteren Ehemann Charles Boutard kennen. Zusammen mit ihm erfüllte sie sich einen Traum. Sie gründeten eine Flugschule, die nach neuen, eigenen Konzepten aufgezogen war. Später folgte sogar eine Flugzeugfabrik. Sie bauten Flugzeuge in Lizenz und entwickelten neue, darunter auch ein Flugboot. Zwischen 1912 und 1914 meldeten sie mehrere Patente an. Ihr Geschäft florierte und sie schienen es geschafft zu haben, als am 28. Juli 1914 der erste Weltkrieg ausbrach und sich alles änderte.
Mit dem Krieg das Aus
Durch die Hochzeit mit einem Franzosen hatte Melli Beese die französische Staatsangehörigkeit erlangt. Mit Ausbruch des Krieges galten beide deshalb als unerwünschte Personen in Deutschland und verloren 1915 die Flugschule und die Fabrik. Zudem wurde ihnen verboten, den Flugplatz Johannisthal zu betreten und überhaupt Geschäfte zu machen. Ihre Flugzeuge wurden der Bevölkerung als Brennmaterial zur Verfügung gestellt. Schließlich wurde das Ehepaar nach Wittstock in Prignitz verbannt, wo sie unter ärmlichsten Verhältnissen lebten und erkrankten.
Neustart scheitert
Nach dem Krieg standen die beiden vor dem Nichts. „Wir standen jedoch vor einem zertrümmerten Leben, krank, aller eigenen Mittel und Besitztümer beraubt – man hatte uns buchstäblich zugrunde gehetzt.“ (Melli Beeses „Fliegerleben – Selbstporträt im Telegrammstil“, Berlin 1923). Man darf jetzt aber nicht glauben, dass sie sich geschlagen gegeben hätten. Nein, im Gegenteil. Sie berappelten sich und schmiedeten neue Pläne. Das war alles andere als leicht, da sie sehr wenig finanzielle Mittel hatten. Die erhofften staatlichen Entschädigungszahlungen für die zerstörte Flugschule und die Flugapparate kamen nur spärlich oder gar nicht.
Charles Boutard und Melli Beese planten einen Flug um die Welt. Dafür war eine Erneuerung der Fluglizenz nötig. Bei einem Probeflug in Berlin-Staaken stürzte Melli ab. Zwar verletzte sie sich dabei nicht, aber dieses Ereignis brachte das Fass an Niederlagen zum Überlaufen. Eheprobleme, Depression, finanzielle Sorgen und dass Frauen noch weniger Anerkennung fanden als vor dem Krieg – das alles führte Melli Beese am 21. Dezember 1925 mit nur 39 Jahren in den Freitod. Sie erschoss sich mit einem Revolver und hinterließ das Motto: „Volare necesse est, vivere non necesse!“– „Fliegen ist notwendig, leben nicht!“
Melli Beeses besondere Kraft
Was ist das Geheimnis von Mellis Erfolg? Woher nahm sie die Kraft, Unmögliches zu erreichen?
Sie wusste, was sie will
Sie hatte ein Ziel: „Ich wollte fliegen lernen! – das war auch alles, von dem ich wusste, dass ich es wollte…“ (Melli Beeses „Fliegerleben – Selbstporträt im Telegrammstil“, Berlin 1923). Und dieses Ziel hat sie unnachgiebig verfolgt, allen Hindernissen zum Trotz. Sie war entschlossen.
Sie war bereit, ihre Komfortzone zu verlassen
Mit 20 Jahren bereits verließ sie ihre Heimat, um in Stockholm Bildhauerei zu studieren, was ihr in Dresden verwehrt wurde. Später, auf der Suche nach einem Fluglehrer, zog sie in die Schweiz. Sie war unabhängig, selbständig, stark. Für die Erreichung ihrer Ziele war sie bereit, Neuland zu betreten und sich von familiärer Geborgenheit zu lösen.
Sie war sehr interessiert und getrieben
Um als Frau anerkannt zu werden, musste sie besser sein als die Männer. Jede kleine Schwäche wäre sofort gegen sie ausgelegt worden. Ihre Stellung in der Männerdomäne konnte sie nur erreichen, weil sie ihre enormen fliegerischen Fähigkeiten und ihre Neugier auf Technik ständig weitertrieben.
Sie stand immer wieder auf – bis zum Schluss
Sie hat im Laufe der Zeit jede Menge Verletzungen physischer und psychischer Art wegstecken müssen. Flugzeugabstürze, Mobbing, Ungerechtigkeit, finanzielle Not, Krankheit… Immer wieder ist sie aufgestanden und hat weitergemacht.
Sie war durchsetzungsstark
Sich von Hindernissen nicht abhalten zu lassen, bedeutet auch, Schlupflöcher zu finden, strategisch zu denken, Chancen zu erkennen und sie zu nutzen. Nur so konnte sie gegen den Widerstand ihrer Flugkollegen den Flugschein machen. Nur so konnte sie fliegen lernen.
Sie hatte Unterstützer
Zum einen waren da ihre Eltern, die Mellis Laufbahn ideell und finanziell unterstützt haben.
Sie hatte ihren Ehemann, mit dem sie ihr Unternehmen aufbaute und Zukunftspläne schmiedete, der ihr emotionalen Rückhalt geboten hat.
Bei der Gründung ihres Luftfahrtunternehmens wurde sie von Karl August Lingner, dem Erfinder des Mundwassers Odol, finanziell unterstützt.
Und heute
Melli hatte gute Voraussetzungen. Sie war sehr begabt, neugierig, wissensdurstig, bereit über Grenzen zu gehen und sie hatte wichtige Unterstützer in ihrem nahen Umfeld. All das aber reicht nicht aus in einer Gesellschaft, die bestimmte Gruppen wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder aus anderen Gründen an den Rand drängt oder gar ausschließt.
Gerade die Diversität, die Vielseitigkeit und die verschiedenen Blickwinkel sind wichtig, um Innovationen hervorzubringen und die Welt zu einer besseren zu machen. Verzichten wir nicht auf unsere Fähigsten, nur weil sie vermeintlich einer falschen Gruppe angehören. Eine Gesellschaft und auch ein Unternehmen kann das ganze Potential nur ausschöpfen, wenn alle gleichberechtigt teilhaben können.